Hubert Romer
Journalist, PR- und Marketing-Berater
Die vergessene Branche –
oder:
Wie ein ganzer Wirtschaftszweig durch mangelndes Marketing in
Rückstand geraten kann -
Wendet man den Blick aus der Welt kreativen
Schaffens heraus nach Außen, hin zur allgemeinen Wahrnehmung
der Kreativbranche* in der Öffentlichkeit, dann präsentiert
sich ein erstaunliches Bild: Bei den statistischen Ämtern
existiert sie erst gar nicht! In deren Tabellen ist sie vielmehr
wider besseren Wissens in die Spielwarenbranche integriert – mit
weitreichenden Folgen.
Wer als kreativ Schaffender beispielsweise ein Bankgespräch
vor sich hat, weil er sich kunstgewerblich oder oder kulturfreiberuflich
selbständig machen will, wird schnell erfahren, dass bei
dem Institut in Bezug auf Vorrecherchen und Ratings meist nichts
zum Kreativ-Sektor vorliegen, sondern nur Kennzahlen und Unterlagen
zur Spielwarenbranche. So aber werden zwei nicht identische Segmente über
einen Kamm geschert. Dabei besitzt die Kreativbranche mit ihren
vielfältigen Ausprägungen eine weitaus differenziertere
Produktstruktur und -tiefe, als die Spielwarenbranche. Auch sind
die Kundenansprache sowie das -spektrum weitaus umfangreicher.
Ebenso besteht aus der Sicht der öffentlichen Meinung die
Kreativbranche gemeinhin vor allem aus dem „Basteln mit
Kindern, mit Papier, Schere und Kleber“. Eine Betrachtungsweise,
die aus den „guten alten“ 1970er und 80er Jahren übrig
geblieben ist.
Diese Ansicht verleiteten mich vor einiger Zeit zur Aussage von
der „Kreativbranche als vergessene Branche“, eine
Charakterisierung, die offensichtlich den Nerv der Sachlage getroffen
hat.
Wie es zu solch einer Verzerrung der Blickwinkel und zu diesen
Stereotypen der Kreativbranche in der Gesellschaft aber auch
in der Geschäftswelt kam, liegt besonders an drei Punkten,
die ich in folgenden Thesen formulieren möchte:
-
Die Kreativbranche hat es versäumt,
die Marktstärke
aus den 1970er und 80er Jahren in die Gegenwart hineinzutragen
und mit modernen Marketing- und PR-Konzepten zu versehen.
Diese fanden mit etlicher zeitlicher Verzögerung erst
in den vergangenen Jahren statt.
-
Die Kreativbranche ist vom
Marktvolumen her zu klein,
um per se in der Gesamtwirtschaft als eigenständiger
Wirtschaftsfaktor wahrgenommen zu werden. Hier hätte
frühzeitige und
umsichtige Lobbyarbeit Abhilfe schaffen müssen.
-
Es
gibt bis heute keine wissenschaftlich fundierten Analysen
und Untersuchungen zur Kreativbranche über
alle Vertriebsebenen hinweg.
Nach einem mehr als ein Jahr
andauernden Projekt haben wir nun erstmals
ein Buch herausgebracht, das jährlich aktualisiert
werden soll. „Die große Branchenanalyse KREATIV
2005/2006“ soll
unter anderem der mit der Kreativbranche in Kontakt tretenden
Geschäftswelt, wie Banken, Messen, Versicherungen
und Agenturen sowie Medien die Möglichkeit bieten,
ein umfangreiches und kompetentes Bild eines eigenständigen
(!) Wirtschaftssektors zu erhalten, der ein hohes Potenzial
besitzt. Für die Kreativbranche
ein wichtiger Schritt, fundiert und professionell in
Marketing-Strategien für die Zukunft zu investieren.
Diese neue Sichtweise wird Firmenneugründern und
Quereinsteigern aus den angrenzenden Branchenbereichen
hilfreich sein, um die Planungen und Finanzierungen
künftig fundierter vornehmen zu können.
Mit den besten
Grüßen,
Huber Romer
*Mit dem Begriff Kreativbranche sind an dieser
Stelle die Künstler
und Hobbykünstler, sowie die Hersteller derer
Gebrauchs-Materialien gemeint. |
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