Annette C. Dißlin
Buchkünstlerin, Holzschneiderin

Stuttgarter Stadtanzeiger, 02.05.2006


»Wer hat Angst vor’m langen ›s‹?«
Wäschenbeuren (ar). Vor zwei Jahren zog Annette C. Dißlin mit ihrem gesamten Arbeitsmaterial in ein Atelier, in dem nun angemeldete Besucher die gesamte Schaffenskraft der 45-Jährigen bewundern können: Historische Druckkunst á la Gutenberg. In ihrem mittlerweile sehr umfangreichen Sortiment befindet sich beispielsweise ein handgefertigtes Spiel nach dem Memory-Prinzip – jedoch mit alten Schriften statt Bildern. »Wer hat Angst vor'm langen ›s‹?« soll die Menschen der heutigen Zeit motivieren, sich wieder mehr mit der »Fraktur« zu befassen, also der Schrift, die hierzulande Gang und Gäbe war, bevor sie durch die lateinische ersetzt wurde.
Andere »Schätze«, wie eine handbetriebene Andruckpresse sowie jede Menge Bleibuchstaben befinden sich ebenfalls in der kleinen Werkstatt namens »bleiklötzle« mit der hauseigenen Ausstellung. Ansonsten können Auszüge aus dem Sortiment auch auf Kunsthandwerkermärkten und Messen besichtigt werden.


»bleiklötzle«: Handgefertigte Schätze in alter Buchdruck-Kunst brauchen viel Liebe – und kosten noch mehr Zeit

Gutenberg läßt schön grüßen

Ganz von Hand und streng limitiert: So wird aus Buchdruck echte Kunst.

Von Adriana Rossi, April 2006

Wäschenbeuren. Es herrscht ein nostalgisches Flair in dem Atelier von Annette C. Dißlin. An den Wänden hängten gerahmte Texte in verschiedenen Schriftstilen sowie Farb- und Schwarz-/Weiß-Drucke mit den unterschiedlichsten Motiven. Eine handbetriebene Andruckpresse, Baujahr 1956, drei kleine Handtiegel, und weit über 500 Schubladen in 20 Setzregalen mit fast 60 historischen Bleischriften zeugen von der ehemals mühseligen Arbeit der Drucker. Ihr hat sich »Frau Bleiklötzle«, wie sie von etlichen Kunden scherzhaft genannt wird, vor etwa acht Jahren verschrieben. Tradition und Kunst – »also das völlige Gegenteil von meinem ersten Beruf«, wie die diplomierte Naturwissenschaftlerin mit einem Lachen bemerkt. Sie liebt die beschauliche Atmosphäre, in der sie beispielsweise Illustrationen für Bücher vorbereitet, spiegelverkehrte Bilder als Vorlagen in Hölzer schnitzt, die Platten einfärbt und unifarbenen Papierbogen dann »ihren« Stempel aufdrückt. Fast scheint es, als schwebe Gutenbergs Geist in den Räumlichkeiten.
»Mein erstes großes Werk war eine Gute-Nacht-Geschichte mit dem Titel ›Der kleine Niak‹. Vom Umfang her nicht sehr groß. Aber von dem Moment an, in der ich die Geschichte geschrieben habe, über den Druck des Textes und der Illustrationen bis hin zur Fertigstellung mit einem Einband aus afrikanischen Handbatikstoffen habe ich ein Jahr gebraucht. Alles 100-prozentige Handarbeit.« Wobei sich Dißlin in der Zeit nicht ausschließlich mit dem im Jahre 2001 auf der »Minipressen-Messe« in Mainz erstmals präsentierten Büchlein befasste. »Zu der alten Druckpresse gab es ja keine Bedienungsanleitung, also musste ich erst mühselig herausfinden, wie sie eingerichtet werden muss, damit sie optimal druckt.« Da die Presse auf ein Hundertstel Millimeter genau arbeitet, muss das Papier schon gut plan liegen, damit die Drucke sauber herauskommen. »Außerdem lösten in den vergangenen Jahren zahlreiche Betriebe ihren Bleisatzbestand auf, den sie mir dann anboten. Da galt es, nebenbei auch noch die Tausenden von Buchstaben zu sortieren. Ich bin damit immer noch nicht ganz fertig.«
Auch Ausstellungen mit Dißlins Werken können zwischenzeitlich besichtigt werden. Die bislang weiteste Reise unternahm ihr auf fünf Exemplare limitiertes Doppel-Leporello mit dem Titel »Menschen-Würde-Rechte«, das bis Mai im Rahmen der zweiten Buchkunst-Biennale in der neuen Bibliothek der ägyptischen Stadt Alexandria gezeigt wird. Ansonsten präsentiert die Künstlerin die Ergebnisse ihres kreativen Schaffens, zum Beispiel, auch auf diversen Kunsthandwerkermärkten.
»Ich habe schon immer gerne mit meinen Händen gearbeitet«, so Dißlin, die zuvor als Texterin und Fachjournalistin tätig war und bereits über langjährige Erfahrungen in Sachen Layout- und Stilmittel verfügte. Die Buchkunst ist vielfältig und jedes Projekt wird aufwändig von Hand gefertigt. »Da braucht es halt sehr viel Zeit, bis eine Anzahl von Werken fertig ist, die dann die Bandbreite und das Können der Künstlerin zeigen.« Ebenfalls zu sehen – »everybody's darling«: Jedem Besucher fällt der schwarze Fuchs mit den glühend-roten Augen sofort auf. »Diesen Holzschnitt habe ich für eine Illustration zu einem englischen Folk-Lied angefertigt.« Auch die zum Teil mehrfarbigen Drucke zum Roman »Lushins Verteidigung« von Vladimir Nabokov in Zusammenarbeit mit dem Rowohlt-Verlag hängen hier. »Und dazu passend gibt es dann eine Tasse frischen Tees aus meinem Samowar.«

(ca. 4.680 Anschläge)


Vita:


Jeder Druckbogen
wird einzeln geprüft.

Annette C. Dißlin an der Handdruckpresse.
Fotos: Günter Dißlin

KONTAKT

Buchdruckatelier bleiklötzle
Annette C. Dißlin
Im Gewerbegebiet 10
73116 Wäschenbeuren
Tel.: 07172-305858
E-Mail:
gruss-an-kunst@bleikloetzle.de
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www.bleikloetzle.de